Marie van Klant - Künstlerin
"
Derjenige, der uns heute belächelt, könnte morgen schon ein neuer Angstpatient sein"
© by Marie van Klant
 

Leseprobe: Die Angst ist ein Arschloch


Ich konnte diese Gedanken nicht bremsen und wollte doch einfach nur, dass sie endlich aufhörten, mich zu quälen. Ich konnte keine Lebensfreude mehr empfinden. Alles war leer, dumpf und unübersichtlich. Die Angst ist ein „Arschloch“! Ich wollte mich doch gar nicht mehr mit „Arschlöchern“ abgeben. Das hatte ich doch mittlerweile gelernt. Ich brauchte sie nicht. Aber ich konnte sie nicht abschütteln. Sie klebte an mir wie Pech. Und sie saß fest, gaaanz tief in meinem Inneren, viel zu tief. Ich hatte sie nur nicht erkannt. Sie hatte sich gut verkleidet. Wenn sie nichts Gutes konnte, aber das funktionierte hervorragend. Sie hatte mit mir eine Freundschaft geschlossen, aber leider einseitig und immer zu ihren Gunsten. Ich war ihr Zuhause und sie hatte in mir ihr Wohlfühlklima gefunden und versucht, sich zu vermehren, was ihr auch gut gelungen war. Angeklopft hatte sie bereits öfter, aber ich hatte sie nicht hereingelassen, bis sie den Fuß in der Tür hatte. Ab diesem Zeitpunkt war sie stärker und hatte es ausgenutzt, mir ihre Überlegenheit zu präsentieren. Vom Feinsten. Gelernt ist gelernt. Sie wollte mit mir einen Pakt eingehen, aber ich wollte nicht! Ich musste diesen verdammten Teufel loswerden, mit welchen Mitteln auch immer, sonst würde ich mein Leben nicht mehr in den Griff bekommen! Sie hatte sich einfach mit mir in die Achterbahn gesetzt und bestimmte den Zeitpunkt, von Höhen, Tiefen und Geschwindigkeit. Sie machte sich einen Spaß und spielte mit mir Jo-Jo, nach Lust und Laune. Sie war echt gut drauf, im Gegensatz zu mir. Sie hatte mich in die Ecke gedrängt, ich musste mich von ihr befreien. Aber wie???


Und möchtest du wissen, wie es mit mir weiterging? Dann höre mir gut zu. Ich erzähle dir gern, was ich noch alles anstellen musste, um mein Leben wieder einigermaßen lebenswert zu gestalten. Es war nicht einfach. Aber, was ist schon einfach? Ich bin nicht das Kind, das vom Leben verwöhnt wurde. Selbst kleine Glücksmomente musste ich mir hart erkämpfen. Es hat sich gelohnt. Soviel kann ich dir schon mal sagen. Sicher, es ist nicht perfekt, aber danach strebe ich längst nicht mehr. Es kostet mich zu viel Kraft, die ich nicht habe, und? Wer oder Was ist denn bitteschön perfekt? Nichts und niemand. Ich habe einfach keine Lust mehr, mein Leben dafür zu vergeuden. Die Zeit ist mir längst zu kostbar geworden. Es hat mir ja doch alles nichts genützt, jedenfalls kann ich mein Leben heute besser organisieren. Wenn ich mal einen Tag auf dem Sofa herumlümmle, wen juckt das schon? Es geht mir gut dabei. Mein schlechtes Gewissen zeigt sich dann nicht mehr so oft und längst nicht mehr so stark. Auch das musste ich lernen. Ich kann nur für mich reden und dir sagen, dass die Welt sich weiterdreht, wenn ich mal einen Tag lang nichts im Haushalt gemacht habe. Dafür sind meine Migräneattacken weniger geworden und das Leben fühlt sich etwas leichter an. Ich höre mittlerweile mehr auf meinen Körper. Wenn er mir Signale sendet, dass es an der Zeit ist, die Batterien aufzuladen, dann bleibt mir doch wenigstens das Wochenende, an dem ich selbst entscheiden kann, wie viel Stress ich mir, meiner Seele und meinem Körper zumuten kann und möchte. Das liegt ganz allein in meiner Hand. Ich lasse mich nicht mehr zu irgendetwas zwingen. Verstehst du, was ich dir damit sagen möchte? Jeder ist seines Glückes Schmied. Und da ist echt was dran. Nimm dir Zeit für meine Worte. Nimm sie nicht nur oberflächlich auf, denke darüber nach und denke vor allen Dingen über dein Leben nach. Und sei bereit für Veränderungen. Vergib und verzeihe, lasse los und sende Freundlichkeit und Liebe aus. Du wirst sehen, dein Leben wird sich verändern. Das funktioniert. Ich verspreche es dir. Hör auf, Dir den Kopf um ungelegte Eier zu zerbrechen. Lass das Leben auf dich zukommen und genieße die schönen, kleinen Momente, die es für dich bereithält. Öffne deine Seele und dein Herz, erst einmal nur für dich, ganz allein. Das kann nicht falsch sein.


Mein Gott, was tut man sich nur alles im Leben an? Ich sagte meinem Freund am Flughafen, dass, wenn ich etwas rückgängig machen könnte, es dieser mit Angst behaftete Flug wäre. Bin ick denn total bescheuert? Wat mach ick hier eigentlich? Ick schaff dat nich. Mir kam jetzt ja schon das Herz zum Hals raus und ich saß noch nicht einmal im Flieger. Ich hoffte darauf, dass wenigstens ein Arzt an Bord sein würde, der mich aus meiner bereits vorhergesehenen Ohnmacht befreien würde oder zumindest Medikamente für einen drohenden Herzinfarkt im Handgepäck hatte.

Anstellen, Ticktet´s vorzeigen, Gangway ins Flugzeug. Alles verschwommen, alles in und an mir bebte, vor allen Dingen mein Herz. Ich wollte mich irgendwie beruhigen, es hat nicht funktioniert. Tief durchatmen, Augen schließen. Es dauerte und dauerte. Ich wollte jetzt aber endlich in der Luft sein, sofort. Panik-Gedanken. In die Sitze krallen. Nervös auf dem Sitz hin und her rutschen. Meiner Nachbarin ein Gespräch aufdrängeln. Meine Güte, jetzt heb doch endlich ab, damit dieses Leiden ein Ende nimmt. Diese Wartezeit kam mir vor, wie eine Ewigkeit. Ich dachte nur bei mir, jetzt reiß Dich bloß zusammen, es waren auch Kinder im Flugzeug. Komisch, denen hat das alles überhaupt nichts ausgemacht. Aber Kinder kennen die Gefahren auch noch nicht. Ich wäre jetzt gern ein unbekümmertes Kind gewesen, das kann ich dir sagen. Irgendwann musste dieser Klotz doch mal in die Luft steigen. Wie ich mich so umschaute und die vielen Menschen sah, dachte ich so bei mir, jeder darf ja 2 x 23 kg Gepäck mit nach Amerika nehmen und dann noch das Handgepäck. Nicht alle Passagiere waren so schmal wie ich. Ich wollte anfangen zu rechnen, was dieses Teil wohl alles in die Luft heben müsste und sich selbst auch noch. Ich ließ es lieber bleiben und drückte meiner Sitz-Nachbarin eine Kassette ins Ohr. Ablenkung. Flucht in eine andere Gedankenwelt.

Das Monstrum kam ins Rollen. Sehr langsam.

Ich wusste, dass das der eigentliche Anfang der Tortur sein würde. Hilfe, ick brauch ´ne Vollnarkose. Ick will hier raus, ick will nich nach Amerika und ich will meine Tochter und mein Enkelkind nich seh´n. Das Flugzeug hielt für einen kleinen Moment. Es fragte mich nicht, was „ick will“. Geräusche, die mein Herz bis an die Decke schlagen ließen, Atemnot. Schnappatmung und Blackout. Von jedem etwas, aber wahrscheinlich in guter Mischung, denn ich sitze ja hier und kann das Buch weiterschreiben. Ooch Mensch, so was kann sich doch kein Mensch antun, der klare Gedanken fassen kann. Und wie soll ich so was hinter mich bringen, mit Panikattacken. Wie doof ist das denn? Muss man sich das im Leben wirklich antun? Ja, denn sonst hätte ich ja drauf verzichtet.

Der Flieger verließ den Boden. Ich war nicht mehr fähig zu denken. Mein Gehirn war völlig durcheinander gerüttelt. Jetzt schlenkerte dieser Riesenvogel auch noch von einer Seite auf die andere. Oh Gott, oh Gott. Hoffentlich waren der Flugkapitän und sein Co. nicht besoffen oder verkatert. Und hoffentlich hatten sie gut ausgeschlafen. Und hoffentlich waren sie kerngesund. Völlig verkrampft habe ich diese Prozedur hinter mich bringen müssen. Alles andere half ja nix. Ich war allem hilflos ausgeliefert. Ich konnte nicht weg. Aussteigen? Hihi.

Endlich über den Wolken angekommen, durften wir uns alle erst einmal von unseren Gurten befreien. Meine Güte, was war ich stolz auf mich, ich hätte heulen können. Ich hatte es geschafft, wie auch immer. Ich habe mich gefreut wie ein kleiner Gott, einfach nur über mich. Mit geschwellter Brust saß ich – zwar wie ein Häufchen Elend – auf meinem Sitz. Gedanken an den Rückflug wollten mich beherrschen. Ich bezwang sie.

Ich hatte mir am Flughafen einen Fensterplatz anbieten lassen. Jetzt genoss ich diese wahnsinnig wunderschöne Aussicht. Ich fing an, diesen Flug zu genießen, dass Essen, das Verwöhnen. Komische Geräusche. Hmmmmm. Nicht weiter schlimm. Wir flogen über den Atlantik. Ich sah von oben herunter. Was ich erkennen konnte, waren Wellen mit Gischt. Ich dachte so bei mir, wie das wohl wäre, wenn wir jetzt und hier abstürzen würden. Würde ich den Aufprall im Meer noch bei vollem Bewusstsein wahrnehmen? Ich denke nicht. Es wäre auch egal, sterben müsste ich dann sowieso und alle anderen mit mir. Gedanken – wieder um ungelegte Eier. Aber, sie waren halt da.

Es kamen ziemlich starke Turbulenzen über dem Wasser auf. Wir alle mussten uns wieder festschnallen. Auch das noch. Mein Kopf fuhr mit mir Achterbahn und dieses unangenehme Bauchkribbeln. Huuuuuu. Festland war in Sicht. Das Gröbste war also überstanden. Leider war das Wetter nicht so berauschend. Die Sicht verschlechterte sich. Trotzdem stierte ich aus dem Fenster und ich freute mich so auf meine kleine Familie. Ich kann das gar nicht beschreiben.

Washington D.C. – der Flughafen wurde angesteuert. Das war also AMERIKA. Aha, mhm. Die Landung verlief für uns alle glücklich und zufrieden. Ich konnte das alles kaum fassen. Vor neun Stunden war ich noch in „good old Germany“. Achterbahngefühle überrumpelten mich. Ich war – glaube ich – der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt. Gespannt wie ein Flitzbogen konnte ich es kaum erwarten, meine Familie in die Arme zu schließen. Die Neugierde auf meinen Enkelsohn verschärfte diese Gedanken noch. Jetzt hieß es aber erst einmal durch die Kontrolle, die Koffer holen und … Ja und? Ich sollte doch vom Flughafen abgeholt werden? Es war niemand da. Und jetzt. Ach Du Sch… Verzweifelt wartete ich auf irgendein Zeichen. Fast alle Passagiere, die mit mir geflogen sind, waren bereits abgeholt worden. Oder sie standen noch fest umarmend mit Ihren Familien, Freunden und Bekannten herum. Hatte meine Tochter den Tag verwechselt? Nein, wir haben ja gestern noch telefoniert...

 

 

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